Der Wehrsport - Hochschulsport unter dem Einfluss des NSDStB – 1931 bis 1945

1931 Gründung des Instituts für Leibesübungen

Trotz zunehmender internationaler Isolierung entwickelt sich der Hochschulsport sowohl deutschlandweit als auch an der TH Darmstadt weiter. 1931 wird die Turn- und Sportpflege an der TH zu einem eigenen „Institut für Leibesübungen“ unter der Direktion von Ernst Söllinger zusammengefasst. Insgesamt beteiligen sich 1200 Studierende regelmäßig und 2000 insgesamt an den Leibesübungen.

1931 Forderung des Pflichtsports für alle Studenten seitens des AfL‘s

Die DSt will statt des bisher geförderten Leistungssports in Zukunft Mannschafts- und Mehrkämpfe sowie wehrertüchtigende Übungen in den Vordergrund stellen, zieht sich international aus dem leistungsorientierten Sport zurück und wendet sich hin zu einer völkischen Sportideologie. Diese Entwicklung zeigt sich leider auch in Darmstadt wie ein Flugblatt des AfLs (Amt für Leibesübungen) aus dem Jahr 1931 zeigt:

„Die Leibesübungen sind nicht nur eine notwendige Ergänzung des Studiums, sondern in erster Linie ein Teilgebiet der allgemeinen nationalen Erziehung.“ Im Folgenden verweist das Darmstädter AfL auf durchgeführte Veranstaltungen wie Such- und Geländespiele, 45km Gelände-, Gepäck- und Nachtmärsche, an denen sich an der TH bis zu 400 Studierende beteiligt hatten und bei denen der Schwerpunkt auf Gelände- und Kartenkenntnis beruht. Ende des Sommersemesters 1931 nahmen ca. 530 Studenten auch an Schießausbildungen teil, außerdem vermittelt der AfL Teilnahmen an sogenannten Geländesporttagen (Wehrsporttagen), denen er „[…]in unserer Zeit eine immersteigendere Bedeutung, vor allem in Erziehung zum Gemeinschaftssinn“ zuschreibt und beteiligt sich an der Errichtung eines Geländesportlagers in Babenhausen. Dort sollen „[…] Ferienkurse von dreiwöchiger Dauer […] den Einzelnen mit dem Geländesport vertraut machen und ihn an ein straffes Lagerleben gewöhnen.“

1932 Vom Hochschulsport zum Wehrsport

1932 wurden die bisher nur von kleinen Gruppen ausgeübten ‚wehrsportlichen‘ Übungen mit militärischem Drill, sogenannte Ordnungsübungen (u. a. 20-Kilometer-Gepäckmarsch und Kleinkaliberschießen) allgemein eingeführt. Parallel hierzu findet eine Führerausbildung in Ordnungsübungen im Hochschulstadion statt, um die Gepäckmärsche besser und militärischer zu organisieren. Die Studentenschaft fordert pflichtmäßige Leibesübungen, als Voraussetzung für die Zulassung zur Diplomprüfung, einzuführen. Der Senat der TH schließt sich dieser Forderung an, die Genehmigung durch die Regierung erfolgt jedoch erst 1934 und macht die erfolgreiche Teilnahme an Leibeserziehungen inklusive der Wehrsportübungen zur Bedingung für die Zulassung zur Diplomprüfung.

Die Förderung einzelner Sportler kommt jetzt nahezu zum Erliegen. Damit entwickelt sich der Hochschulsport bereits deutlich in Richtung der in der NS­-Ideologie verankerten Ziele der Leibesübungen. Vor allem im Punkt des antiindividualistischen Erziehungsgedankens, der Volksgesundheit und der Wehrhaftmachung stimmen die Leitmotive des Darmstädter Hochschulsports bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten mit deren Ideologie überein. Dies mag daran liegen, dass bereits 1931 auf dem Grazer Studententag der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund die Führung des Deutschen Studentenbundes übernahm. Die steigende Infiltrierung der Darmstädter Studentenschaft durch die NS-Ideologie zeigt sich unter anderem auch darin, dass im Wintersemester 1931/32 ca. 250 Studenten während eines Geländemarsches von der Polizei verhaftet werden. Einige der Studenten tragen bereits SA Armbinden mit Hakenkreuzen und auf Grund des militärischen Auftretens (militärische Marschordnung) wird ein SA-Putsch befürchtet. Die Studenten werden erst nach vier Stunden wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen.

1932 Gründung des Wehramtes

Die Entwicklung zum Wehrsport wird auch durch eine Konzentrierung der (Wehr-)sportlichen Ausbildung beim neu gegründeten Wehramt deutlich: „Durch die Bildung des vollkommen selbstständigen Wehramtes (WA) sind einzelne Abteilungen des AfL in das WA überführt worden. Dies sind vor allem die Schieß- und Wanderabteilung. Es bestehen somit nun 2 Ämter an unserer Hochschule, die für die körperliche Ertüchtigung unserer Kommilitonen verantwortlich sind….“ (AfL 1932).

Das Wehramt führt im Wintersemester 1932/33 „Sportübungen“ wie Kleinkaliberschießen, Luftschutzlehrgänge, Leibesübungen mit Gasmaske, Morseübungen, Lehrgänge für Kooperationsführer in Ordnungsübungen, Bewegung und Verhalten im Gelände, Orientieren und Geländekunde durch. Weiterhin organisiert es Lehrgänge im Geländesportlager Babenhausen.

1933 Die NS-Zeit und der Ausbau der Wehrsport- anlagen

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 gibt es auch im Hochschulsport einen tiefen Einschnitt. Am 9.9.1933 übernimmt per Erlass das neu eingerichtete „SA-Hochschulamt“ ab sofort die Leibeserziehungen der Studenten. Dieses greift diktatorisch ein und konzentriert sich auf Wehrdienst und Geländesportausbildung. Erstmals werden die Leibesübungen zur Pflicht gemacht, d.h. sie sind Zulassungsvoraussetzung zur Diplomprüfung. Ausnahmen werden noch in Einzelfällen nach strengem medizinischen Gutachten gemacht. Das Hochschulstadion wird für den ‚Wehrsport‘ weiter ausgebaut.

Es entstehen Hindernisbahnen, Keulenwurfanlagen (simulierter Handgranatenwurf) und für die Schießübungen, die bisher am Karlshof und am Schießstand Böllenfalltor stattgefunden haben, der Kleinkaliber-Schießstand, das heutige Hüttchen mit Erdaufschüttungen. Die Kosten werden unter anderem vom Landesarbeitsamt, dem „getarnten“ Wehramt des Reiches, übernommen. Die Arbeiten werden überwiegend mit Arbeitseinsätzen von Studenten bewältigt. Leichtathletikwettkämpfe werden 1933 völlig eingestellt.

1934 Verschärfte Sportpflicht

1934 verpflichtet die neue Hochschulordnung per Ministerialerlass vom 17.04.1934 offiziell alle Studenten für die ersten drei Semester zur Teilnahme an einer (wehr-) sportlichen Grundausbildung. Die Teilnahme ist Voraussetzung für die Fortsetzung des Studiums ab dem vierten Semester und ist fest in den Stundenplan integriert. Sie wird geleitet durch das IfL, dessen Direktor Söllinger 1934 zusätzlich an das staatliche Turn- und Sportamt berufen wird. Söllinger schreibt im Darmstädter Hochschulführer 1933/34 zu den Leibesübungen: „Der soldatische Geist der Disziplin, der Unterordnung und des kameradschaftlichen Freundschaftsgefühls soll und muss mit der Zeit allen Studenten zur selbstverständlichen Lebensgewohnheit werden.“

1933-1945 Das Hochschulstadion als Kulisse für NS-Aufmärsche

Während der NS-Zeit 1933-1945 wird das Hochschulstadion auch für Meisterschaften und politische Großveranstaltungen von der Sturmabteilung (SA) und Hitlerjugend (HJ) genutzt und dient der NSDAP für Aufmärsche. Auch der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) veranstaltet hier Kundgebungen, Wettkämpfe und Vorträge.

1938 Austritt der DSt aus der CIE

Am 11. Mai 1938 tritt die Deutsche Studentenschaft (DSt) aus der CIE aus und erklärt, dass sie international nur noch mit Organisationen zusammenarbeite, „die ihre Verankerung in den Kräften ihres Volkstums haben […], der sich mit uns politisch und sachlich zum gleichen Ordnungsprinzip bekennt.“

1939 Errichtung des Säulentors

1939 wird das Säulenportal am Nordeingang gebaut. Das Tor stand zuvor auf der Mathildenhöhe. Es wurde 1914 vom Architekt Albin Müller als Eingang zur Jugendstilausstellung auf der Mathildenhöhe entworfen, im ersten Weltkrieg abgetragen und 1937 durch einen Vertrag zwischen Großherzog Ernst Ludwig und Ernst Söllinger der Technischen Hochschule überlassen. Es trug die Löwen des jetzigen Löwentors am Eingang der Rosenhöhe. An deren Stelle wird ein Betonarchitrav auf die sechs Doppelsäulen gesetzt.

Auf der Außenseite des Tores stehen die Worte: „Dem Vaterlande gilt es, wenn wir zu spielen scheinen“, was nach dem 2 . Weltkrieg durch „Hochschulstadion“ ersetzt wurde. Auf der Innenseite, von Sportplatz und der Laufbahn aus zu lesen, steht „Der Wille zur Leistung führt zur Leistung“.

1941 Reichswettkämpfe der Studentinnen im Kriege

Im Juli 1941 finden im Darmstädter Hochschulstadion die „Reichswettkämpfe der Studentinnen im Kriege“ statt, an denen 400 Studentinnen teilnehmen, die ihre Vorführungen zuvor in sogenannten „Prüfungslagern“ eingeübt haben.

Bereits in den Jahren zuvor waren die „Reichswettkämpfe“ an Stelle der Deutschen Hochschulmeisterschaften von der SA implementiert worden.

Die SA entwickelte die „Nationalsozialistischen Kampfspiele“ und „Reichswettkämpfe“ zunächst mit der Aufgabenstellung „den deutschen Mann vom Leib aus zu erziehen“. Da aber der Großteil der Studenten in die Wehrmacht einberufen war, werden nun die Studentinnen für diese nationalsozialistischen Propagandawettkämpfe instrumentalisiert. Wie an vielen anderen Stellen auch, erfahren diese, während des zweiten Weltkriegs Normalität und Alltag suggerierenden Ersatzwettkämpfe, große öffentliche Resonanz.

Im Laufe des 2. Weltkrieges wird die Organisation des Hochschulsports dessen Auswirkungen angepasst. Durch den Kriegseinsatz sind immer weniger Ausbilder und Studenten an den Hochschulen. Daher konzentriert sich der Hochschulsport, neben der pflichtmäßigen Sportgrundausbildung der Studenten, mehr und mehr sowohl auf die Ausbildung der zunehmend an den Universitäten eingeschriebenen Studentinnen als auch auf Sportangebote für (studentische) Soldaten auf Fronturlaub.

Zerstörte Otto­Berndt­Halle 11.09.1944

Im Durchschnitt treiben die Studenten an der TH Darmstadt 1943 nur noch ca. 1,5 Stunden Sport pro Woche, überwiegend als Mannschaftssport. Dieser kommt, mit Zunahme der Luftangriffe, bis zum Ende des 2. Weltkrieges jedoch nahezu völlig zum Erliegen. Bis zur Darmstädter Brandnacht 1944 wird der „Pflichtsport“ für die wenigen noch nicht einberufenen Studenten weiter intensiviert. In dieser Zeit konzentriert sich das AfL auf die lückenlose Erfassung aller Studenten für den Wehrsport. Wettkämpfe werden jetzt übergeordnet organisiert. In der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 findet ein großflächig angelegter Luftangriff auf das Zentrum Darmstadts durch die Royal Air Force statt. Das Stadtzentrum wird nahezu völlig zerstört. 11.500 Menschen sterben. Nach diesem Luftangriff steht das öffentliche Leben in Darmstadt still. Anfang 1945 werden die letzten „waffenfähigen Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren“ in den Volkssturm eingezogen, um gegen die vorrückenden Alliierten zu kämpfen. Darmstadt geht jedoch kampflos in die Besatzung. Am 25.03.1945 rollen amerikanische Panzer durch die Darmstädter Innenstadt. Der Krieg ist vorbei.

Zerstörte Turmuhr in der Hochschulstrasse nach Luftangriff 11.09.1944